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Thursday, January 18, 2007

Das ILP Seminar in San Francisco


Folgendes Interview über den Besuch des ILP Seminars in San Francisco wurde in der vierten Ausgabe des Magazins "integrale Perspektiven" veröffentlicht:


Eindrücke vom Integral Life Practice Seminar in San Franciso
Ein Interview mit Dennis Wittrock:


F: Du warst im April dieses Jahres zusammen mit deiner Freundin Stefanie in San Franciso auf einem Seminar des Integral Institute mit dem Thema „Integral Life Practice“. Jeder der an so etwas wie ILP interessiert ist würde sicherlich gerne erfahren, was ihr dort erlebt habt. Mir geht es zumindest so. Also, du kannst ja einfach mal anfangen zu erzählen, was bei euch, bzw. dir hängen geblieben ist und von dort aus können wir versuchen uns ein Bild von dieser Zeit zu machen, okay?

Huy, Clint und Nicole (v.l.)

D: Klingt gut. Mal sehen, ich glaub ich werde einfach mal mit den äußerlichen Eckdaten und dem Kontext beginnen. In der IP 03 stand ja bereits ein Bericht über unseren dreimonatigen Aufenthalt am I-I. Durch persönliche Kontakte zu den Mitarbeitern dort, insbesondere zu Nicole Fegley, hat es sich ergeben, dass wir stark vergünstigt an dem Seminar teilnehmen konnten. Zudem haben wir aus der Ferne via e-mail um drei Ecken bei einem - uns vollkommen unbekannten - Teilnehmer des Seminars eine kostenlose Unterkunft für fünf Tage organisieren können.

F: Irre, das klingt, als hättet ihr reichlich Glück gehabt!

Tim Boeve
D: Und wie – das Universum hat sich ganz reizend um uns gekümmert. Unser Gastgeber war ein evangelischer Priester, den eine gute Freundin einige Monate zuvor mit der Nase in diese integrale Sache, Ken Wilber und so, geschubst hatte. Es war schön mitzuverfolgen, wie dieses neue Bewusstsein ihn von Tag zu Tag mehr gepackt hat. Tim Boeve ist sein Name und er war überaus zuvorkommend und hilfsbereit. Am Ende der Woche hatte er richtig Feuer gefangen.

F: Okay, lass uns nun zu dem Seminar an sich kommen. Wo genau fand das statt, wie viele Teilnehmer waren dort, wer waren die Trainer, was habt ihr gemacht, usw.

das "IONS"
D: Das fand statt im IONS-Center (Institute for Noetic Sciences) in Petaluma, Kalifornien, etwas nördlich von San Francisco. Es waren insgesamt 42 Teilnehmer aus vielen Teilen der Welt angereist: aus Russland, Kuba, England, Australien und natürlich auch aus Deutschland. Die Trainer waren Diane Hamilton, Terry Patten, Huy Lam und Sofia Diaz. Das Seminar war auf fünf Tage angelegt, wobei man noch einen zusätzlichen Tag vorab mit einer theoretischen Einführung in das integrale Modell belegen konnte. Wir haben uns statt dessen ein wenig San Francisco angeschaut.

Diane Hamilton und Terry Patten

F: In fünf Tagen kann bestimmt eine ganze Menge geschehen. Vielleicht wäre es gut, wenn du mal so die wesentlichen Programmpunkte zusammenfassen könntest. Anschließend können wir dann ja mal schauen, was besonders interessant für dich und Stefanie war.

Wir

D: Gut, also es gab selbstverständlich zu jedem der vier großen Module (Body, Mind Spirit, Shadow) eine oder mehrere Einheiten mit Übungen. In der Einleitungssitzung wurde erst einmal der kulturelle Container für das Seminar geschaffen und die Spielregeln bekannt gegeben. Bemerkenswert fanden wir hier, dass die Trainer die ausländischen Gäste explizit auch um interkulturelles Feedback gebeten haben.

F: Was heißt das genau?

D: Naja, das I-I war sehr interessiert daran zu erfahren, welche Aspekte ihrer Arbeit im Seminar vielleicht aufgrund kultureller blinder Flecke bei den Ausländern irgendwie schräg, oder „typisch amerikanisch“ wirken. Zusätzlich gab es nach jedem Tag einen ausführlichen Feedback-Bogen zum Ausfüllen für jeden Teilnehmer, so dass die Trainer direkt auf die Bedürfnisse der Gruppe eingehen konnten.

F: Und die Übungen für die einzelnen Module? Was habt ihr da gemacht?

D: Im Wesentlichen haben wir die sogenannten „Gold Star Practices“ geübt, die auch in dem ILP-Starter-Kit vorgestellt werden, d.h. das 3-Körper-Workout (grobstofflich, subtil und kausal), den Big-Mind Prozess, den 3-2-1 Schatten-Prozess, das Focused Intensity Training (F.I.T.) die „Integral Inquiry“-Meditation, Erläuterungen zur ILP-Diät, sowie Übungen zu dem Zusatzmodul Ethik. Daneben gab es Anleitungen zur Gestaltung einer individuellen ILP Praxis, Tipps zum Umgang mit Widerständen auf dem Weg, Übungen zur „verkörperten Integration“, viel Arbeit in wechselnden Kleingruppen und auch eine Telefonkonferenz mit Ken Wilber.

F: Dazu könnte ich eine Menge fragen. Als erstes interessiert mich was mit den Übungen zur „verkörperten Integration“ gemeint ist. Wer hat das angeleitet und wie darf man sich das vorstellen?

Sofia Diaz
D: Das hat Sofia Diaz angeleitet und das ist für mich irgendwie am schwersten zu erklären, aber ich kann’s ja mal versuchen. Es ging auf alle Fälle um eine Art körperliches Begreifen, eben ein „Verkörpern“ bestimmter Aspekte, die ich persönlich zumindest wohl erst mal lieber auf der mentalen Ebene belassen würde. Das galt aber nicht. Wir sollten alle mal aufstehen von unseren Stühlen und dann wurde eine Anweisung gegeben, die etwa so ging: „Stelle dir vor du gehst mit nackten Füßen über eine Sommerwiese und spürst das frische Gras unter den Füßen – drücke dieses Gefühl mit deiner rechten Schulter aus, während deine Hüfte das Gefühl darstellt, das du bei deinem ersten Liebeskummer verspürt hast.“ – oder so ähnlich. Ich war natürlich völlig überfordert.

F: Und wie ging es dann weiter?

D: Dann habe ich mich mental mal ein wenig entspannt, mir selbst gesagt ‚Dennis, du musst nicht alles begreifen. Not knowing is nearest’ und mich halt nach Gefühl bewegt. Steffi könnte das Ganze bestimmt besser schildern, denn Sofia hat hier ein weibliches, nicht zu verkopfendes, sondern nur zu verkörperndes Element eingebracht, dass sich dem begrifflichen Denken kategorisch entzieht.

F: Den Big-Mind-Prozess hat bestimmt Diane Hamilton angeleitet. Was fällt dir dazu ein?

Diane, mal anders
D: Stimmt, also zunächst einmal fällt mir die überzeugende Persönlichkeit von Diane ein, sie ist witzig, ernst, unnachgiebig, flexibel, auch mal zerstreut und daneben, dann wieder glasklar und total intelligent. Im Big-Mind Prozess geht es ja bekanntlich darum, das Selbst in seine wichtigsten Teilaspekte oder Stimmen zu zerlegen und es dann wieder zusammen zu setzen. Nachdem man die egoischen Stimmen behandelt hat, kann man bei der Gruppe der transzendenten Stimmen gewisse Zustandserfahrungen – eben des eigenen Big Mind oder Big Heart – machen. Da hat Diane uns klasse hineingeführt, das ging ziemlich tief für meine Begriffe.

F: Du sprachst auch von Übungen zu Ethik. Wie darf ich mir das vorstellen?

D: In der Übung ging es darum in Kleingruppen von 3-4 Personen Situationen aus dem Alltag zu erinnern, bei denen man sich nach seinem eigenen Empfinden nicht ganz hundertprozentig verhalten hat. Wir wurden aufgefordert, diese Situation genau zu beschreiben, die Faktoren und Geisteshaltungen zu reflektieren, die dazu geführt haben, dem unmittelbaren Gefühl bei der Tat und den karmischen Nachwirkungen nachzuspüren.

Teilnehmer

F: Welchen Anlass hast du denn da gewählt, magst du das verraten?

D: Ich darf doch sehr bitten. Das werde ich bestimmt nicht in aller Öffentlichkeit tun. Ich sag nur soviel: dieser Manager von Microsoft, der zufällig auch in meiner Kleingruppe war hat bei dieser Angelegenheit großzügig beide Augen zugedrückt…

F: [lacht] Jaja, wir haben alle so unsere Leichen im Keller.

D: Ja, aber dabei sind wir nicht stehen geblieben. Wir haben sozusagen auch jeder noch mal „die Mutter Theresa aus dem Keller geholt“. Wir wurden nämlich danach gebeten eine für unser Empfinden positive ethische Tat in der selben Weise zu reflektieren,

F: Mhhm, verstehe. Das ist dann „feeling good by doing good“, wie Roger Walsh das mal auf einem Clip von Integral Naked ausgedrückt hat.

D: Genau, „sich durch gute Taten gut fühlen“ ist durchaus kein Widerspruch in sich. Wir hatten aber auf dem Seminar noch weitaus mehr Anlässe, um uns gut zu fühlen.

ILP-Party-Modul
F: Ja, das wollte ich dich fragen, was waren deine persönlichen Highlights bei diesem Seminar?

D: Das erinnert mich an den wunderschönen Sternenhimmel. Welches sind deine liebsten Sterne, Frank? Du verstehst, worauf ich hinaus will – es gab einfach so viele wunderbare Begegnungen mit wunderbaren integralen Menschen aus aller Welt, so viele kleine Situationen, in denen die große Gnade durchschimmerte im selben Raum mit diesen Menschen dieses Geschenk zu teilen. Und doch will ich mich bemühen einzelne Erlebnisse herauszugreifen und zu beschreiben.

Mitten in der Woche gab es gewisse Spannungen zwischen einem Teilnehmer und dem Trainer Terry Patten. Gegen Ende der Sitzung hat dieser Teilnehmer Kritik an der Äußerung geübt, dass die Annahme der Veranstalter sei, dass sie bei den Teilnehmern dieses Seminars davon ausgehen, dass sie alle automatisch mehr oder weniger einen integralen Bewusstseinsschwerpunkt mitbrächten. Es ging auf Mittag zu und Terry hat diese Kritik mehr oder weniger „abgewürgt“, so dass der Teilnehmer die Gruppe vorzeitig verließ und eine merkwürdige Spannung im Raum lag. Später wurde dann das Programm spontan umgestellt und Diane Hamilton, die auch eine Ausbildung in Konflikt-Mediation hat, hat dann ein Podiumsgespräch, eine Art offene Schattenarbeit zwischen den beiden moderiert. Am Ende konnten beide Akteure wirklich ihre Differenzen beilegen, was sehr berührend und tiefgehend war.

Podiumsdiskussion

F: Der 3-2-1 Prozess live on stage, sozusagen?

D: So ähnlich. Nicht so schematisch wie diese Übung und sehr, sehr menschlich. Das war auf alle Fälle eine starke Erfahrung für die ganze Gruppe.

F: Wenn du zurückblickst und dir auch deine gegenwärtige Praxis anschaust – was hat sich für dich verändert?

D: Also, auf alle Fälle war das Seminar eine Riesen-Inspiration und Motivation sich tiefer in die Praxis zu involvieren. So ganz viel hat sich allerdings nicht verändert, denn ich hatte meine individuelle ILP bereits schon mal auf einem Retreat mit iMove [junge integrale Initiative im IF] zusammengepuzzelt.

calling Ken

F: Wie sieht deine persönliche Praxis konkret aus?

D: Also für den Körper spiele ich auch weiterhin 2-3 mal die Woche Fußball auf Kreisliga-Niveau, mache einmal die Woche etwas Yoga und – seit San Francisco – 3-4 mal die Woche FIT push-ups, um meinen Oberkörper auch mal mehr zu fordern.
Geistig werde ich durchs Studium (Philosophie/Kunst/Anglistik) hinreichend gefordert, mit dem Lesen von Kens massiven Output nachzukommen ist ebenfalls eine Kunst. Zudem höre ich unterwegs viele (Dharma-) Talks via MP3-Stick und zieh mir auch das Zeug von Integral Naked rein. Ich mache hin und wieder Übersetzungen für das IF und auch die starke email Korrespondenz kann ich wohl als mentale Praxis werten. Ich plane und organisiere Seminare und Vorträge über integrale Themen mit meinen Freunden in Bremen und an der Uni Oldenburg.
In spiritueller Hinsicht bin ich im Zen zuhause, habe auch vor Ort die Möglichkeit mit meiner Lehrerin zu arbeiten. Ich meditiere nach Möglichkeit morgens und abends 25 Minuten, probiere viele Meditations-Techniken aus und versuche immer auch über den Tellerrand der Zen-Tradition zu schauen, so sehr ich sie schätze.

F: Und welche Praxis hast du für deinen psychodynamischen Schatten?

D: Ach ja, da war ja noch was – mein Schatten! [lacht] Den vergisst man ständig. Also, da halte ich’s ganz traditionell mit dem Tagebuch-Schreiben einmal pro Woche. Zusätzlich mache ich mit Steffi mittlerweile wieder regelmäßig sogenannte „Zwiegespräche“, also abwechselnd achtsames Sprechen und tiefes Zuhören im Beziehungskontext. Arbeit in Liebesbeziehungen ist wohl die Königsdisziplin der Schattenarbeit, aber es fiel uns in letzter Zeit schwer mit der Praxis gemeinsam verbindlich umzugehen.

F: Ja, Verbindlichkeit in Bezug auf die gesamte Integrale Lebens-Praxis ist wohl der Schlüssel zum Wachstum. Dennis, ich danke dir für dieses Gespräch.

D: Danke dir auch Frank, es war mir ein Vergnügen.

P.S.: Stanley Jordan, der berühmte Jazz-Musiker war auch Teilnehmer und hat sogar ein paar Stücke zum Besten gegeben

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